Vor 80 Jahren griffen Kampfbomber die Möhnetalsperre an !
„Vom Kellerfenster aus konnten wir auf die Mauer gucken. Da haben wir die Flieger gesehen und man hat die Schießerei gehört. Ein Bomber, der getroffen wurde, flog brennend zwischen den Türmen durch und in unsere Richtung.“ Karl-Heinz Wilmes war noch keine fünf Jahre alt, als britische Piloten in der Nacht auf den 17. Mai 1943 Bomben auf die Möhnetalsperre abwarfen.„Wir haben mit zwei Familien in dem Haus gewohnt. Mit 14, 15 Personen sind wir runter in den Keller gegangen, wir Kinder hatten Trainingsanzüge über die Schlafanzüge gezogen. Irgendwann hörte der Geschützdonner auf und dann hörte man nur noch ein lautes Rauschen. Da sagte meine Großmutter: ,Jetzt haben sie die Möhne getroffen!?“
Mitten im Zweiten Weltkrieg starteten 133 Männer in 19 Flugzeugen von der britischen Basis Scampton aus mit dem Ziel, Staudämme im heutigen Nordrhein-Westfalen und Hessen zu bombardieren. Die „Operation Chastise“ – Operation Züchtigung – war akribisch vorbereitet worden. Die Spezialstaffel Nummer 617 hatte die Abläufe wochenlang geübt, die eingesetzten Bomben waren eigens für die Operation entwickelt worden. Der Angriff auf die Staudämme galt vor allem der Wasserversorgung der deutschen Rüstungsindustrie.Wie Kiesel sollten die speziellen Rollbomben über das Wasser hüpfen, untergehen und dann explodieren. An der Möhnetalsperre war es die fünfte abgeworfene Bombe, die so ein Loch in die Mauer riss. Auch die Talsperre an der Eder wurde schwer getroffen, während die Sorpe-Staumauer kaum Schaden nahm.
Wilmes ist einer der letzten Zeitzeugen, die heute noch von dem Angriff und der anschließenden Flut berichten können. Millionen Kubikmeter Wasser strömten damals vom Möhnetal bis ins Ruhrgebiet. Wie viele Menschen ums Leben kamen, ist nicht eindeutig belegt. Mindestens 1300 Tote gab es, manche Schätzungen liegen höher.Die Aufarbeitung des 17. Mai 1943 hat ihn sein Leben lang begleitet. Er blieb in Möhnesee, lebt mittlerweile wenige Meter von dem Haus entfernt, in dessen Keller er damals den Angriff erlebte. Der heute 84-Jährige war 25 Jahre lang Vorsteher des Ortsteils Günne und organisierte die Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag. 2013 – zum hundertjährigen Bestehen der Talsperre und 70-jährigen Jahrestag des Angriffs – stellte er eine umfangreiche Ausstellung zusammen, mit Fotos und Archivmaterial. Mehr als tausend Menschen kamen damals in den kleinen Ort, um sie zu sehen, wie er erzählt.
Geforscht hat Wilmes insbesondere auch zu den Opfern der Flut, zu den in Günne Gestorbenen kennt er die Einzelschicksale. Allerdings sind bis heute nicht alle Opfer identifiziert, auch weil darunter viele Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene waren. So starben allein in Arnsberg-Neheim, einige Kilometer von der Talsperre entfernt, mehr als 850 Menschen – die meisten von ihnen Zwangsarbeiterinnen aus Osteuropa, die im Lager eingeschlossen waren. Auch auf britischer Seite gab es Verluste: 56 Männer kehrten nicht vom Einsatz zurück.Großbritannien bezeichnete die „Operation Chastise“ dennoch als großen Erfolg. Die Geschichte der „dambusters“ (Dammbrecher) wurde zur Legende und in den Folgejahren vielfach medial verarbeitet. Die Nationalsozialisten wiederum bemühten sich, die Bombardierung ihrerseits für Propaganda-Zwecke zu nutzen. So sei der damalige Rüstungsminister Albert Speer bereits einen Tag nach dem Angriff nach Möhnesee gekommen, um Eiserne Kreuze zu verleihen, berichtet Gemeindearchivarin Lena Lewald.
80 Jahre später ist die Tragödie noch lange nicht vergessen. Den ganzen Mai über finden um den Möhnesee und den Umgebung Aktionen statt, dazu gehören eine Ausstellung, Begegnungen von Menschen aus England und dem Sauerland und ein Friedensmarsch von Grundschülern.