„Plötzlich fängt er an zu kippen“ Kathrin Ecker (48) erinnert sich an das Unglück – Seither ist sie nie mehr Zug gefahren ! In Wagen DREI hatte die Murnauerin gesessen, der nach ganz unten in Richtung Bachbett gestürzt war. Aber K. E. konnte sich selbst befreien; sie wollte Freitagmittag von der Arbeit nach Hause. Sie hatte ihr Klapprad eingepackt, eilte zum Bahnhof, um die Regionalbahn 59458 nach Murnau noch zu erwischen. Was danach geschah, daran wird sich die 48-jährige ihr Leben lang erinnern. Sie entgleiste mit dem Zug – kam aber mit einem Schleudertrauma und Prellungen davon. Hier das Interview, welches das „Garmisch- Partenkirchener Tagblatt“ unlängst mit der Murnauerin über das Unglück führte :
GAP; Wie oft denken Sie an den 3. Juni zurück?
KE: ich denke nicht jeden Tag dran. Allerdings bin ich seither nicht wieder Zug gefahren. Normalerweise bin ich überzeugt davon, weniger Auto zu fahren. Aber das Vertrauen in die Technik ist nicht mehr so da. Ich weiß nicht, ob ich es verarbeitet habe.
GAP: Was ist der erste Gedanke, der Ihnen dabei in den Kopf schießt?
KE: Dass ich möglichst keine solche Katastrophe mehr erleben will. Es war ein schöner Tag. Man saß im Zug mit vielen Schülern. Kurz nach Abfahrt fuhr der Zug auf Schotter. Du hoffst: Er schafft’s, er schafft’s, er schafft’s, bestimmt bremst er. Plötzlich fängt er an zu kippen und du denkst: Jetzt wird’s richtig blöd. Ich bin aufgestanden, habe mich an der Stange oberhalb des Fensters festgehalten. Gott sei dank bin ich dadurch von meinem Sitzplatz weggekommen. Irgendwann kannst du dich nicht mehr an der Stange halten. Ich wurde weiter vor auf die andere Seite geschleudert, so glücklich, dass ich nur Prellungen hatte und ein Schleudertrauma. Wochenlang danach hatte ich vor allen Dingen nachts Schweißausbrüche.
GAP : Wie kam’s, dass Sie im Zug saßen?
KE: Ich arbeite in Garmisch-Partenkirchen und bin mittags schnell zum Zug geeilt. Zu der Zeit gab’s das Neun-Euro-Ticket, da bin ich öfters mit Klapprad und Zug gefahren.
GAP: Was wissen Sie noch von den Momenten nach dem Aufprall? K.E. An den Aufprall kann ich mich nicht erinnern, den hat das Gehirn ausgeschaltet. Ich lag mit dem Rücken auf der anderen Seite des Abteils, die Lok schob noch etwas, eine Staub- und Glaswolke wirbelte durch die Gegend. Als die weniger geworden ist, wurde es verzweifelt laut. Um mich herum lagen Menschen, die bewusstlos waren. Man hat versucht, sie anzusprechen, aber sie haben nicht reagiert. Aus dem anderen Waggon kamen unmittelbar Leute von der Bundeswehr, um zu helfen. Ich bin dann bei dem riesigen Loch, das ich an meinem ursprünglichen Platz vorfand, hinaus, bin den Abhang hinauf, habe mit ein paar Mitfahrern geredet. Ich habe meiner Mutter mit geliehenem Handy mitgeteilt, dass ich lebe und nicht verletzt bin. Innerhalb kurzer Zeit kamen hunderte Einsatzkräfte…Ja, etliche Helfer. Bei denen habe ich mich abgemeldet. Ich habe praktisch überlegt, wie ich schnellstmöglich heim komme. Ich bin nach Oberau getrampt und in den Zug gestiegen. Die Fahrkarte war nicht mehr wichtig. In dem Moment hast du einen Schock, du hast keine Schmerzen. Es ist, als wäre nichts Schlimmes gewesen. Meine Mutter hat mich am Bahnhof in Murnau abgeholt. Meine Kinder waren beruhigt, als sie sahen, dass ich normal gehe. Ich habe bewusst nicht von einer Katastrophe gesprochen.
GAP: Wie sah dann der Tag nach der Katastrophe aus?
KE: Am späten Nachmittag habe ich in der Unfallklinik angerufen, woraufhin die Mitarbeiter der Notaufnahme meinten, dass ich sofort kommen soll. Festgestellt wurden Prellungen an der rechten Seite und Hämatome an den Beinen von herumfliegenden Gegenständen. Ich wurde eine Woche krank geschrieben. Nachträglich wurde mir ein Schleudertrauma attestiert. Abends habe ich noch den Unfallbericht für die Arbeit geschrieben. Die Tage danach redest du ein paar mal mit der Polizei und schaust, wie du wieder zu deinen Sachen wie Handy, Geldbeutel, Rucksack und Fahrrad kommst. Ich habe alles wieder bekommen, das Fahrrad war allerdings mehrfach gebrochen, mein Geldbeutel noch feucht, den fand die Polizei im Bach.
GAP: Sind Sie an den Unfallort zurückgekehrt? KE: Auf dem Weg nach Garmisch-Partenkirchen fahre ich daran vorbei.
GAP: Haben Sie Kontakt zu anderen Opfern, gibt es eine Gruppe zur Bewältigung? EK: Leider gibt’s die nicht. Man erkundigt sich über Bekannte, wer auch noch im Zug saß. Ich habe mich vor ein paar Monaten mit einer Mitfahrerin intensiver ausgetauscht. GAP: Wie gehen Sie heute damit um?
KE: Irgendwann muss man das abhaken. Das Gute war, dass ich einen Schock hatte und relativ zügig die Stelle verlassen habe. Es hat schnell die Dankbarkeit überwogen, denn es hätte ganz anders ausgehen können. Es war unser Waggon, der an unterster Stelle lag. Ich hatte ziemlich viel Glück.
GAP: Die wichtigste Frage zum Schluss: Wie geht’s Ihnen?
EK: Ich hoffe, dass ich keine Folgeschäden habe. Die Halswirbelsäule fühlt sich anders als davor an. Kurzzeitig hatte ich einen Tinnitus, was auch an der Wirbelsäule lag. Seit ein paar Monaten mache ich Pilates, ich habe den Eindruck, das tut mir gut.
Übernommen vom: „Garmisch-Partenkirchener Tagblatt“